21.06. – 03.07.: Teil 2: Durch das Bartang-Tal und nach Dushanbe

2019-07-06 7 Von Christoph

Bis Karakol waren wir unschlüssig, welche Route wir befahren sollten. Die längste, durch das Wakhantal an der afghanischen Grenze entlang, oder die Hauptroute, die M41, den sogannten Pamir-Highway oder eben das Bartangtal, die kürzeste und am wenigsten befahrene Route, einfach weil es keine wirkliche Straße gibt, sondern über weite Strecken nur grobe Fahrspuren.
Die Entscheidung fiel dann für mich auf die Bartang Route, weil sie keine weiteren hohen Pässe mehr enthielt und ich mich schon schwer getan habe über die knapp 4300 m des Kyzyl-Art Passes zu kommen. Joachim wollte die M41 fahren und so trennten wir uns und verabredeten, uns im Panj-Tal wieder zu treffen.
Franz entschied sich, mich zu begleiten. Es sollte sich dann herausstellen, dass das Bartangtal zwar die kürzeste aber wohl auch die technisch schwierigste Route war. Aber auch eine großartige!
Wir benötigten knapp sieben Tage für die 300 km hinunter nach Rushon. Einmal weil die Wegverhältnisse wirklich eine Herausforderung darstellten und es nicht nur bergab ging, sondern öfters zwischendurch wieder gscheit bergauf. Aber auch weil wir, je länger wir unterwegs waren, diese Landschaft wirklich genießen wollten.
Das obere Drittel entsprach einer Wüstenlandschaft, km-breite Stein- und Sandfelder, eingerahmt von felsigen Bergen mit beeindruckenden Sandreissen (Achtung Bayrisch: Abhänge lockeren Gerölls).
Es ging auch überwiegend leicht bergauf und so weit das Auge reichte nirgends eine Spur eines Rinnsals. Es war eine trockene weite Mondlandschaft oder eher Mars? Die häufig roten Gesteinsformationen ließen diesen Gedanken aufkommen.
Wir waren den ganzen Tag zwischen 3800 und 4000 m Höhe unterwegs und am späten Nachmittag rückten die Berge näher, unser Weg führte inzwischen am Kokuy-Bel Fluss entlang. In engen Schluchtabschnitten lag noch einiger Schnee, der Wegbelag wechselte von Sand zu Schotter und wieder zu sandigen Abschnitten. Lange Strecken gab es die gefürchteten „Waschbretter“, über die man mit Auto oder Motorrad mit großer Geschwindigkeit drüberfliegen kann, aber mit dem Fahrrad nimmt man jede Welle deutlich spürbar mit.
Der Zeltplatz am Abend war phantastisch, oder vielmehr die Lage vor dem gegenüberliegenden Gebirgszug und der Blick darauf in der untergehenden Sonne.
Auch am nächsten Tag gings weniger bergab als bergauf, wir erreichten sogar wieder die 4000er Höhe. Neben tollen Fotomotiven von heruntergekullerten Riesensteinen war der Tag geprägt von starkem Gegenwind, ersten Flussdurchfahrten und einem ersten Zusammentreffen mit Menschen auf einer „Hochalm“. Eine Familie scheint erst kürzlich mit ihren Schafen und Ziegen heraufgezogen zu sein. Der Mann erzählte uns, dass er als 19-jähriger in Ost-Berlin Militärdienst leisten musste. Wir waren froh über die Anwesenheit der Leute hier, wurden wir doch mit einem phantastisch schmeckenden Yoghurt, selbstgebackenem Brot und Tee bewirtet. Schon mal eine Mahlzeit mehr, die wir nicht aus den knapp bemessenen Vorräten in unseren Packtaschen bestreiten mussten.
Ja, die Versorgung durch Essen und Trinken war an vorderste Stelle unserer Sinne gerückt, neben Vorwärtskommen und die Landschaft genießen. Das Leben reduziert sich auf das zum Überleben notwendige. Was für eine Erfahrung!
Kurz nach dieser Alm – mit weiteren Bergauf-Passagen – gings etwa 400 Hm hinunter in ein Quertal und statt lästigem Gegenwind konnten wir Rückenwind verspüren, was letztendlich aber nutzlos war, man musste eh sehr langsam fahren. Zwischen einigen Büschen fanden wir uns dann unvermittelt in einem Sumpf wieder, also Räder schieben, von Stein zu Stein springen, aber auch mal hineintappen bis wir die wenigen hundert Meter überwunden hatten.
Der (ein weiterer) Höhepunkt war dann eine Flussdurchquerung, bei der wir alle Taschen gesondert durch die starke Strömung tragen mussten und die Räder sogar zu zweit sichern, weil sie sonst nicht zu halten waren. Was für ein Arbeitstag und was für ein Erlebnistag.
Gibt es noch eine Steigerung von schlechten Fahrbahnen? Ja, diese erreichte am dritten Tag ihren Höhepunkt. Immer wieder mussten wir große Schuttkegel überqueren, die aus Schottergeröll bestehen und auch noch weitere Aufwärtsmeter bedeuteten. Da ist alleine schon wegen der großen Steine des öfteren Schieben angesagt. An einer Stelle habe ich „talabwärts“ steil bergauf geschoben, Franz war bereits auf der Kuppe. Da schob ein anderer Radler von der anderen Seite der Kuppe sein Rad ebenso steil herauf. Was für ein Anblick für Franz :-). Es war Ernst, ein Holländer, ein Lachen im Gesicht wie einst Rudi Carell, und bester Laune. Wir bedauerten Ernst etwas, weil wir wussten was er noch vor sich hat.
Wir trafen einen weiteren Reisenden, ein Einheimischer auf seinem Esel und mit Hund, der beim Weiterreiten eine kleine Show abzog, aber – kaum um die Ecke – doch neben seinem Lasttier wanderte.
Es war richtig belebt heute, eine italienische Gruppe, acht Personen mit zwei Geländewagen stoppte und staunte über uns, sie waren aber auch an einem Austausch interessiert, was sie noch zu erwarten haben.
Kurz danach erreichten wir das erste Dorf, Gudara. Zwei Jungs fingen uns gleich ab, führten uns zu einem Laden, organisierten Brot für uns und luden uns nach Hause ein zu einer üppigen „Pamir-Brotzeit“: Tee, Yoghurt, Brot, Suppe, Aprikosenkompott …. Meist sind die „Einladungen“ natürlich mit Bezahlung verbunden, aber das ist okay und verständlich.
Die Jungs sprachen etwas Englisch und erzählten uns einiges über das Dorf, das, wie die meisten anderen auch eine Schule hat, worauf sie besonders stolz zu sein schienen. Sie nannten viele Leute, die wir trafen „Onkel und Tanten“, oft scheint es sich bei so einem Dorf um einen Clan zu handeln, viele Leute im Dorf sind miteinander verwandt.
Ab jetzt erreichten wir alle 10 – 20 km ein kleines Dorf, die Verpflegungssituation hat sich also entspannt.
Die folgende Nacht verbrachten wir in Rukhch bei einer Familie/Frau, deren Ehemann sich in Russland als Gastarbeiter verdingt, wie es das Schicksal vieler Männer (mehrere Millionen) aus den Stan-Staaten ist, besonders aber aus den ärmsten Bereichen in Tajikistan. Die Frau lebt hier mit Großmutter und Kind und muss das Haus in Ordnung halten.
24.06., erster Gratulant war Franz, wer sonst? Aber es gab keinen Bonus für mich, wir mussten weiter und trotz ständiger Bestätigung der Einheimischen, dass die Straßen talwärts von jetzt an „sehr gut“ wären, holperten wir über Stock und Stein. Schon etwas entnervend über die lange Zeit, aber die ständig wechselnden tollen Landschaftseindrücke lenkten davon ab und letztendlich, wir mussten einfach durch.
Der Tag hatte wieder besonderes zu bieten, nämlich insgesamt 1000 Hm aufwärts, filigrane und doch gewaltige Felstürme, tiefe Schluchten, Flussdurchquerungen, und wieder mussten wir lernen, dass nicht mehr als 35 km am Tag möglich waren. A bissl hatte ich mich doch auf ein Bier am Abend gefreut. Wir erreichten aber nur den Ort Yapshorv, dort wurden wir von einer ganz lieben Familie aufgenommen.
Misha, das Familienoberhaupt und seine Frau haben drei Kinder, zwei studierten in Chrough bzw Duschanbe, ein kleines Nachzügler-Mädchen wurde gerade 10 Monate alt. Es waren auch noch die Oma da und eine Nichte und ein Neffe, die gerade Semesterferien hatten und den Sommer im Heimatdorf verbrachten. So war es ein ganz toller Austausch und Misha war sichtlich stolz auf seine Kinder. Ein Neffe, der Musik studiert, hat dann auf der Gitarre zwei Lieder gespielt und pamirische Volkslieder gesungen. Wir durften im großen „Pamirraum“ schlafen, während alle anderen, 8 Leute, sich in einem Vorraum zum Schlafen legten. Das war schon ein bisschen peinlich für uns als wir das bemerkten, aber uns wohl eher mehr als der Familie.
Der Aufenthalt bei Misha und seiner Familie hat uns schwer beeindruckt und uns gezeigt wie eine arme Familie in schwierigen Lebensbedingungen einigermaßen zufrieden leben kann. Wir haben uns vorgenommen den Kontakt zur Familie Hojiev zu halten.
Die nächste Nacht (der Tag war nicht weniger beeindruckend als der zuvor) verbrachten wir im Homestay von Bashid. Das Hostel wird vom „Bürgermeister“ von fünf dieser Bergdörfer betrieben, und auch hier ist das Gastlager die große Pamirstube im Zentrum des Hauses. In diesem Ort wird gerade ein Klein-Wasserkraftwerk aufgebaut, was von einem Schweizer initiiert und organisiert wurde. Ebenso wurde gerade ein Krankenhaus durch deutsche Finanzierung fertiggestellt. Wir waren sehr daran interessiert, fanden aber das neue Gebäude verschlossen vor und noch nicht in Betrieb. Hoffentlich wird dieser letzte Schritt auch bald vollzogen. Zumindest war auch schon ein Ärztin da.
Allmählich begegnet man auch öfters Autos, meist Geländewägen, aber auch die „Gestrandeten“ am Wegrand werden mehr, oft fehlen ihnen die Räder und sie sind damit verurteilt als Blechwracks zu enden… an Ort und Stelle. Durch die vielen seitlichen Wasserzuflüsse ist der Bartang Fluss inzwischen immer größer und mächtiger geworden, das Tal ist erfüllt von lautem Tosen und die Fahrstraße führt über lange Strecken ganz nah am Fluss entlang.
In einem Dorf, als wir gerade in einem kleinen Laden einkaufen, werden wir wieder eingeladen, ein junger Mann „organisiert“ uns diesen Aufenthalt und die übliche Pamir-Brotzeit, diesesmal besonders reichhaltig mit Reisfleisch und frischen Kirschen und Maulbeeren. Franz revanchiert uns indem er bei einer alten Frau und auch bei einem Kind eine augenärztliche Untersuchung macht, obwohl es ihm leid tut, dass er nur eine Diagnose erstellen, aber keine weitere Hilfe anbieten konnte. Trotzdem erscheinen die Leute dankbar für diese Information…. eine „zweite Meinung“ aus Deutschland. Hier im Pamir. Wer bekommt die schon?
Irgendwann auf dieser Strecke kommen uns auch Veko (aus Finnland) und Delphina (aus Straßburg) mit ihren Motorrädern entgegen, wir haben die beiden schon an der Grenze zu Tajikistan kennengelernt. Sie fahren gleich alle drei Varianten des Pamirs ab, kein großes Problem mit diesen Maschinen.
Noch einen weiteren Tag und eine Übernachtung benötigen wir im Bartangtal, um dann am siebten Tag endlich Rushon zu erreichen. Es waren intensive Tage, geprägt von überwältigenden Landschaften, harter Rad-„Arbeit“, Konzentration auf sicheres Fahren und das Vorwärtskommen, auf die Essensversorgung und vor allem auch phantastischen Begegnungen mit Menschen, den stolzen „Pamiri“, die sogar eine eigene Sprache sprechen.
Aber auch lustigen und interessanten Begegnungen mit Reisenden, auf zwei oder vier Rädern, mit oder ohne Motor würzten unsere Reisetage.
Kurz vor dem Ausgang des Bartangtales konnte ich dann eine ganz besondere Zahl feiern. Nach knapp 6 Monaten habe ich genau 10.000 km von Suzhou hierher in das Pamir-Gebirge radelnd zurückgelegt. Wahrlich ein Grund zum Feiern. An diesem besonderen Tag gab es dann tatsächlich ein Bier am Abend.
In Rushon mieteten wir uns ins Homestay Rushon ein und blieben zwei Tage, der Wirt konnte kaum genug Essen herbeischaffen, so schnell verdrückten wir das. 😉
Joachim hat uns inzwischen überholt und seinen Weg nach Dushanbe fortgesetzt. Für ihn war der Pamir-Highway das erklärte Ziel und das konnte er zügig abspulen.

Die weitere Strecke nach Dushanbe führte zunächst knapp 200 km den Panj-Fluss entlang nach Qalai-Khumb, immer mehr oder weniger in Steinwurf-Nähe zu Afghanistan. Die ganze Route hat es uns weiter über Steine und Schotter gebeutelt, das Tal war erfüllt vom Rauschen des Gebrigsflusses und leider häufig ziemlich staubig, verursacht durch viele 40 to-LKWs (!), die sich hier Richtung China durchkämpfen. Aber auch so war auf dieser Strecke viel Verkehr mit Autos und praktisch alle Touris und Rad- und Motorradreisenden müssen diese Route fahren, wenn sie in den Pamir wollen.
Kurz vor Qalai-Khumb hat es mich dann mit einer ziemlichen Magenverstimmung erwischt, wahrscheinlich von einem selbstgemachten Kirschsaft, den wir einigen Kindern abgekauft hatten. Da kam die Pause in Qalai-Khumb gerade recht. Mit einem Tag Verzögerung hat es dann auch Franz erwischt, leider gerade auf „der Piste“, was noch weniger angenehm ist. Von Qalai-Khumb habe ich dann ein Taxi hierher nach Dushanbe (350 km) genommen, was eh geplant war aber aufgrund meines Gesundheitszustandes dann unabdingbar. Franz ist die Strecke noch mit dem Rad angegangen und hat sie zur Hälfte geschafft, bis auch ihn dieser Magen-Darm-Infekt niederstreckte und er den Rest hierher nach Dushanbe mit einem Auto absolvierte. Jetzt gilt es erst mal „Wunden zu lecken“ und wieder auf die Beine zu kommen bevor wir den nächsten Abschnitt nach Usbekistan angehen. Eigentlich ein ganz gutes Timing. Es waren eh ein paar Ruhetage in Dushanbe eingeplant.

Hier gehts zur Bildergalerie: Durch das Bartang Tal des Pamir Gebirges