23.05.2019: Von Almaty nach Bishkek

2019-05-23 5 Von Christoph

Neue Länder, neue Kulturen…. Almaty, die frühere Hauptstadt von Kasachstan, liegt wunderschön nördlich einer Bergkette namens Ile Alatuy Zotas, einem Teil des Tianshan Gebirges, das sich von Urumqi bis Tashkent erstreckt und sich sowohl in Länge als auch in Breite jeweils doppelt so weit ausdehnt wie die Alpen. Diese Berge südlich von Almaty erreichen Höhen bis 4600 m. Almaty, früher – zu Sowjetzeiten – Alma-Ata, ist eine moderne Stadt mit etwa 1.8 Mill. Einwohnern, seine Bewohner sind jung und geben sich modern. Es gibt unzählige belebte Cafes und Kneipen, und es ist einfach eine gute Stimmung zu verspüren. Drei Tage habe ich in Almaty verbracht und versucht viel von dieser guten Stimmung mitzunehmen. Nach einem sehr schönen Abend auf dem Hausberg von Almaty, dem Kök Töbe, gings am 9.05. weiter.
Es war spannend, was kommt jetzt auf mich zu? Meine weitere Route soll um den großen See in Kirgistan, dem Issyk Köl, im Uhrzeigersinn herumführen. Dazu fahre ich zuerst wieder Richtung China, auf die ursprünglich geplante Route, die von der chinesischen Grenze gleich nach Karakol, der östlichsten Stadt des Landes, führt. Am ersten Tag gings zunächst leicht abwärts bzw. weitgehend eben dahin, gute einhundert km Richtung Shelek. Einen Großteil davon kann man an einem ausgetrockneten Kanal auf einer einsamen Straße fahren. Hier überholt mich plötzlich ein Auto, stoppt abrupt auf dem Seitenstreifen, vier Grazien springen heraus und wollen ein Foto mit dem Gespenst machen.
Die Diskussion der Aufstellung ist noch nicht zu Ende, da bröselt nach und nach eine russische Radfahrergruppe herbei und plötzlich sind wir fünfzehn Leute. Die Gruppe aus der Nähe von Jekaterienburg macht eine zweiwöchige Tour im Süden Kasachstans. Man muss sich gar nicht viel unterhalten heutzutage, allein die Aktivitäten zum Fotografieren und Selfies machen beschäftigen einen schon gemeinsam, und nachdem die Bilder im Kasten sind und auch einige Sätze zur Tour ausgetauscht worden sind, gehts weiter. Ich treffe noch einen russischen Soloradler und habe dann vor, in der nächsten Kleinstadt – Shelek – ein Hotel zu nehmen. Nach 130 km bin ich schon geschlaucht, mit Hilfe und Leitung eines Einheimischen finde ich eine Bleibe, sehr einfach, aber eine Kneipe ist gleich daneben mit großen Portionen.
Das war der einfachste Teil, am nächsten Tag gings Richung Südosten und nun stand ein Aufstieg auf 2000 m Höhe bevor. In mehreren Stufen zwar, aber trotzdem waren es mit den Zwischenabfahrten gute 2000 Hm in zwei Tagen. Das Tagesziel war allerdings der Charyn Cayon, eine Schlucht des Charyn Flusses, der sich in den Sandstein gegraben hat und aussieht aus wie ein kleiner Grand Canyon.
Der kleine Nationalpark befindet sich etwa 10 km abseits der Hauptroute und man fährt wieder 350 Hm runter, aber die Aussicht auf einen schönen Übernachtungsplatz steigert die Vorfreude. Am Eingangstor muss man einen geringen Eintritt bezahlen (1,50 EUR) und am Ticketschalter treffe ich zwei Paare aus Frankreich bzw. aus F/D. Quentin und Clement sind mit dem Rad unterwegs von Singapur nach Frankreich, eigentich wollten sie über Indien fahren und waren auch schon bis Dehli gekommen, mussten dann aber umplanen, weil sie dort kein Visum für Pakistan bekommen haben. Daraufhin flogen sie kurzerhand nach Almaty um von dort die Pamirroute zu nehmen. Im Augenblick sind die beiden Freundinnen „zu Besuch“ und die Radler nehmen eine Auszeit.
Der Canyon ist super schön, tatsächlich ein „Little Grand Canyon“. Das Beste ist, dass keine Einschränkungen bestehen, man kann zelten wo man will und so suche ich mir eine ruhige Stelle weit hinten aber nah am Rand, um dort mein Lager aufzuschlagen. Die Abendstunden sind herrlich, der zunächst starke Wind hörte gegen 22 Uhr auf zu blasen und die Nacht auf steinhartem Grund war zwar nicht gerade toll, aber die Lage dieses Zeltplatzes ließ die Mühseligkeiten in den Hintergrund treten.
Das war wieder so ein Platz, der mich unheimlich fasziniert, weil man am Abend die Sonne auf der einen Seite verschwinden sieht und sie am Morgen genau gegenüber wieder auftaucht.

Am Morgen noch ein kurzer Ratsch mit den beiden Paaren, dann kämpfe ich mich wieder die „verlorenen“ 350 Hm hinauf zur Hauptstraße. Hier treffe ich Steffi und Frank, ein Paar aus dem Vogtland, das mit einem Pickup-Wohnmobil auf großer Rundtour durch Zentralasien ist. Den frischen Kaffee genieße ich gerne, auch den Austausch und vor allem die Information, dass die Grenze nach Kirgistan offen ist (sie kommen gerade daher). Von einem anderen französischen Soloradler hatte ich am Vortag nämlich gehört, dass sie noch geschlossen sei, dann müsste ich nämlich zurück nach Almaty.
Nach einer nochmaligen Abfahrt durch den Canyon über die Hauptstraße wartet gegenüber der lange Aufstieg auf den höchsten Punkt auf gut 2000 m. 15 km vor Kegen, kurz bevor die Berge wieder einer weiten Ebene weichen, kehre ich zum Abendessen in einem kleinen Jurtenlokal ein. Die Jurte ist Gastzimmer, Wohn- Küchen- und Schlafbereich für die Frau mit ihren zwei Töchtern. Der Mann ist nicht da, evtl. arbeitet er wie so viele Kirgisen als Fremdarbeiter in Russland.
Hinter der Jurte auf einem Wiesenstück darf ich mein Zelt aufschlagen, ein Nachbar, ein junger Mann bringt mir ein Bier und belabert und bearbeitet mich eine Zeitlang. Irgendwie möchte er wissen wie man einen gut bezahlten Job bekommt.
Die Nacht ist sehr feucht, das Klima in 2000 m Höhe ganz anders als am Vortag am Canyon. Frühstück bekomme ich wieder in der Jurte, derweil kann auch das Zelt trocknen.
Dann bin ich schnell in Kegen, der letzten Kleinstadt vor der Grenze. Ich fahre weiter, aber kurz danach verstärkt sich der Gegenwind derart, dass man kaum einen Meter vorwärts kommt. Da bin ich gerade im letzten Dorf, Karkara, 10 km vor der Grenze. Jetzt ist auch die Straße nicht mehr asphaltiert, Gegensturm und Schotterpiste veranlassen mich zunächst mal, das Zelt an einem geschützten Platz im Dorf aufzustellen. Passanten kommen und „drohen“ mir mit Schneefällen für die kommende Nacht. Da mache ich zunächst mal einen Rückzug ins 15 km entfernte Kegen, wo ich mir ein – mäßiges – Hotelzimmer suche.
In der Nacht gabs aber doch keinen Schnee und am nächsten Morgen nehme ich den zweiten Anlauf. Bis Karkara gehts gut, ohne Wind, dann bremsen mich Schotterpiste und erneuter Gegenwind gemeinsam. Trotzdem, die Landschaft ist wunderschön. Im Süden die Kette des Tianshan-Gebirges mit ihren weißen Gipfeln, nördlich grüne Wiesenhänge, oder auch nur Halbwüste. Der Grenzübergang ist spannend, zwischen den Grenzstationen flagge ich um von der hellblauen kasachischen auf die rote kirgisische, das gefällt den Grenzern. Sie lachen anerkennend und wundern sich, dass so ein Alter daher kommt und von Shanghai nach München fährt. Komplett irre, so interpretiere ich das Kopfschütteln des Grenzbeamten als er den Stempel in meinen Pass klopft.

Die Hoffnung auf eine Asphaltstrasse auf kirgisischer Seite erfüllt sich nicht. Es geht weiter auf Schotter, etwa 30 km, dann muss ich eh links ab auf eine Nebenstraße um den Kizil Kiya Pass auf 2160 m zu überqueren. Aber diese Strecke, etwa 3 km, ist so steil, dass ich schieben muss, vor allem weil das Geröll nicht mehr fahrbar ist. Kaum einen km weiter oben fängt es zu schütten an, nur ein kurzer Schauer, aber er verwandelt den Weg in eine Schlammpiste. Ich schiebe nur noch einige dutzend Meter, dann blockiert der Schlamm zwischen Reifen und Schutzblechen die Räder komplett. Zunächst mache ich ein paar Fotos von einem Reiter, der Pferde und Kühe von der Anhöhe treibt, dann muss ich die Schutzbleche teilweise demontieren um die Räder wieder frei zu bekommen. Den Rest des Anstieges schiebe ich auf der Almwiese.
Aber die Route ist sehr schön, so richtige Almen mit vielen Pferden, Kühen und Schafen. Wia dahoam.  Das Wetter spielt verrückt. Ein Gewitter treibt mich weiter, als die Blitze rundherum runterzucken und mich schon etwas erschrecken. Schade, ich hätte gerne da oben gezeltet, aber so exponiert, das war mir nicht mehr geheuer.
So fahre ich ab und suche mir kurz vor dem Ende der Bergkette, bevor es wieder flach wird, einen Zeltplatz. Möglichst nicht einsichtig, aber das dachte ich nur. Bald kommen Reiter vorbei und begrüßen mich, ein Schafhirte treibt seine Herde mehr oder weniger „durch“ mein Zelt und später am Abend, als es schon dunkel ist, grasen Pferde in unmittelbarer Nähe und ich hoffte nur dass sie nicht über die Zeltschnüre stolpern. Aber genau so habe ich mir das Zelten in Kirgistan vorgestellt.
Am nächsten Tag, kurz nach Mittag, erreiche ich dann – weiter auf „mixed Pickles“ – Karakol, die östlichste Stadt in Kirgistan und Zentrum der Region. Das Hotel Amir ist ein Traum, neu gebaut, alles funktioniert, die Wirtin spricht etwas englisch und sie bzw. das Personal sind äußerst zuvorkommend. Auch die Bewirtung am Abend ist sehr lecker, ich lasse mir gleich eine zweite Hauptspeise servieren und zum Nachtisch gibt es Apfelstrudel mit Eis. … nix mehr Reis.
Der Ort hat eine wunderschöne alte russische Holzkirche, sonst aber eigentlich nur einige Denkmäler und Statuen von lokalen historischen Persönlichkeiten.
Im Winter gibt es in der Nähe Schibetrieb, jetzt im Sommer kann man Ausflüge in die Berge und in diverse Schluchten buchen, die dann mit Geländefahrzeugen duchgeführt werden. Nichts für durchkommende Radlfahrer… außer man unterbricht das Radeln und steigt um, was ich nicht wollte.

Der See ist noch 60 km entfernt, auf dem Weg treffe ich Regula und Jon, ein Schweizer Paar, das mit einem Toyota Landcruiser mit Womo-Aufbau durch die Welt reist. Die beiden besichtigen ein Land oder eine Region, stellen dann das Fahrzeug irgendwo sicher ein und fliegen wieder heim. Wenn die Reiselust wieder erwacht, kehren sie zum Fahrzeug zurück und reisen weiter. Eine tolle Methode, die sie bereits seit 10 Jahren so praktizieren. Finde ich super.

Die Saison scheint zu beginnen, kurz darauf treffe ich Andrea und Michael aus Augsburg. Die Beiden hatten den Mut einen zum Wohnmobil umgebauten russischen Lieferwagen (Technologischer Stand ähnlich dem alten T1 Volkswagen) zu mieten und damit durch Kirgistan zu reisen. Good Luck, kann man da nur sagen.

Einige offizielle Zeltplätze am See sind noch geschlossen, es ist schwierig etwas Geeignetes zu finden, letztendlich lande ich dann an einem Stück wunderschönen Sandstrand, einem privatem Strandstück, das für Wellness-Programme genutzt wird. Für einen kleinen Beitrag darf ich an diesem Platz zelten.
Dort lerne ich auch Alex Mamatov kennen, einen Usbeken, der mit Familie in den USA lebt und jetzt hier eine Kur macht, um sich von einer beruflich bedingten Lungenkrankheit (er hat zuviel Lösemittel beim Versiegeln von Fußböden eingeatmet) zu erholen. Er stammt aus Samarkand, und die Einladung zu seiner Großfamilie steht, wenn wir dort sind.
Am nächsten Morgen regnet es leider etwas, das Wetter scheint umzuschlagen.

Der Issyk Kul (See) ist nach dem Titicaca See in Bolivien der zweitgrößte Gebirgssee der Erde. Er ist mit 180 km Länge und 60 km Breite dreimal so lang und viermal so breit wie der Bodensee. Seine mittlere Tiefe beträgt 278 m und seine maximale Tiefe 668 m. Aus diesem Grund friert der Gebirgssee selten zu, was auch seinen Namen begründet: Issyk Köl heißt „Heißer See“. Bei diesen Abmessungen fährt man schon einige Zeit entlang. Es gibt auf der attraktiveren Südseite nur ein paar kleine Orte, diesen Abend kommt es zu einer Homestay-Übernachtung bei einer kirgisischen Familie. Eigentlich noch nicht geöffnet für die Saison, tue ich Urslan, dem Hausherrn, wohl etwas leid in meiner abendlichen Erschöpfung, so dass die Familie doch noch ein Zimmer für mich herrichtet (räumt?).
Urslan und seine Frau haben neun Kinder, das jüngste ist gerade vor einem Monat geboren worden. Es leben noch einige weitere Geschwister von Urslan mit auf dem kleinen Hof. Ein bisschen können wir uns austauschen, dabei helfen auch Fotos aufm Handy… und natürlich die freudige Nachricht, dass auch ich gerade Opa geworden bin.

Am folgenden Tag sind es noch ca. 70 km bis Balykchy, der Kleinstadt am westlichen Ende des Sees. Ich habe eigentlich eine gute Infrastruktur am See erwartet, eine Promenade, ein nettes Cafe auf dessen Terrasse man sitzen kann und auf den See schauen…. es bleibt bei diesem Traum. Obwohl mitten in der Stadt, war am See alles verwahrlost, einschließlich alter Chemieanlagen. Aber es gab gute Lokale und ein akzeptables Hotel.
Noch 175 km bis Bishkek, 1000 Hm weiter unten. Aber 1000 m auf 100 km bergab sind auch nur 1% im Schnitt, also nicht wirklich ein messbares Gefälle. Trotzdem, die ersten 45 km gingen super, dann drehte der Wind aus einem Tal heraus und ich musste auch bergab wieder treten. Nach 130 km tauchte ein Traum von einem Hotel auf, das kann man nicht links liegen lassen. Schon unwirklich, eine Nacht bei einer armen kirgisischen Familie in ganz ganz einfachen Verhältnissen, die nächste dann in einem – vergleichsweise – Luxushotel. Das Burana Hotel und die angeschlossenen Anlagen, Restaurant mit Namen „Hawai Cafe“, Zoo, Spielplätze, See mit Booten…. ist eine WE-Ausflugsgelegenheit (Getaway sagt man da wohl heute…) für die Leute aus Bishkek.
Die letzten 60 km bis zur Hauptstadt nutzte ich dann eine Nebenstraße, die alles andere als ruhig war. Dichter Verkehr, laute Stinker, die in Mitteleuropa nicht mehr fahren dürften, und wie schon die ganze Zeit, aber jetzt noch viel öfter, die überholenden Autos fahren bis auf ein paar Zentimeter an den Packtaschen vorbei. Was war das für ein angenehmes Radeln in China. Dabei sind sie an den Ampeln und Fußgängerüberwegen unglaublich diszipliniert und halten frühzeitig. Auch wieder ein kompletter Gegensatz zu China.

Kurz nach Mittag checke ich im Hotel Silk Road Lodge ein. Ein toller Name, das Hotel äußerlich etwas ungepflegt, aber innen in allen Bereichen erneuert, und das Team um Emir ist sehr sehr zuvorkommend.

Am Montag dann organisierte ich gleich die Visa für den Iran und Turkmensitan, beantragte auch das von Tajikistan. Zwischen den Botschaften, Banken und Copy Shops, was ich alles suchen musste, bin ich 45 km geradelt….aber erfolgreich.

Jetzt kann ich einige Sehenswürdigkeiten von Bishkek abklappern, aber vor allem Xiuxi machen, eine „große Pause“ vom Radeln, bis am Freitag der Franz, der Johannes und der Andi kommen.
Für die Ankunft der Drei ist alles vorbereitet, Zimmer gebucht, Abholung organisiert, Kneipen ausfindig gemacht, es beginnt ein neuer Abschnitt auf meiner großen Tour. Jetzt mit Begleitung.

Johannes und Andi begleiten uns zwei Wochen hier in Kirgistan und Franz macht sich dann mit mir auf den Weg Hoamzua. Etwa Mitte Juni treffen wir dann in Osh im Süden Kirgistans noch Joachim, der den Streckenteil durch Tajikistan mitfahren wird. Es wird eine neue Situation sein, wieder in Begleitung zu radeln. Gut dass ich jetzt diese moralische Hilfe habe, auch wenn wir uns nicht körperlich schieben können, zu viert und später zu dritt kann man sich sicher besser unterstützen. Ich freue mich darauf.

Bis jetzt bin ich knapp 8400 km geradelt, ziemlich genau dieselbe Streckenlänge seit Ibo am 11. März zurückgeflogen ist. Damals stand der Tacho bei 4206 km. Jetzt ist der 22. Mai, also genau wie der erste Abschnitt zwei Monate und 11 Tage.

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